Fremd bleiben!

»Wenn der Mensch eine Bestimmung hätte, so bestünde sie wohl darin, dem Gesicht zu entkommen, das Gesicht (...) aufzulösen, nicht wahrnehmbar zu werden, klandestin zu werden (...).« Gilles Deleuze, Félix Guattari, Die Erschaffung des Gesichts (1980)

Stumm, unzugänglich und etwas beängstigend wirken die Frauenköpfe von Barbara Wrede, alle in ähnlicher Weise – einer Ahnengalerie gleich – vor dem tiefen Schwarz oder gebrochenen Grau eines neutralen Hintergrundes festgehalten. Fremdartige Hauben, mal spitz zulaufend, mal flügelartig ausschweifend und Andeutungen historischer Trachten verorten die Dargestellten eher im Spätmittelalter oder in der frühen Neuzeit als im 21. Jahrhundert. Konkret erinnern sie an die in ihrer malerischen Qualität und ihrer Ausdruckshaftigkeit faszinierenden Büstenporträts von Rogier van der Weyden, Hans Holbein d. J. oder Lucas Cranach. Aus der entlehnten Form entwickelt Barbara Wrede allerdings etwas völlig anderes: ermöglichen die Bildnisse der Alten Meister durch ihre manchmal geradezu akribische naturtreue eine unmittelbare Begegnung mit der Physiognomie der Porträtierten, und dienen Kleidung, Mimik oder Attribute der Kennzeichnung des gesellschaftlichen Standes, so tilgt Wrede genau diese mit der Gattung des Porträts so eng verbundenen Möglichkeiten der Erkenntnis und Einordnung eines Menschen. (…) Sie sind vielmehr Konstruktionen aus Linien und Flächen.(…)
Die Serie »Über das Verschwinden – Die Kappen der Anderen« begann 2008 mit einer zeichnerischen Vorgeschichte, bevor Barbara Wrede dann 2013 die ersten Frauenköpfe aus Esspapier schuf. Die Wahl ihres Materials hat dabei eine ikonologische Dimension: Die Oblate repräsentiert in der christlichen Liturgie den Fleisch gewordenen Gott, der sich den Gläubigen zur Stärkung anbietet. Sein erlösendes Opfer wird im Abendmahl oder in der Kommunion zur körperlich-sinnlichen Erfahrung. Aus Abwesenheit wird Gegenwart, allerdings eine unsichtbare Gegenwart.(...)
Dr. Martina Padberg, Auszüge aus dem Katalogtext/Eröffnungsrede »Über das Verschwinden – Die Kappen der Anderen«, Einzelausstellung in der Schwartzschen Villa, Berlin, 2016
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